see-Conference #12: Starke Kreationen für mehr Nachhaltigkeit

Manolya Wendler

Auch 2017 hat die see-Conference, eine der größten Designkonferenzen in Deutschland, gehalten, was sie versprach. 4 Tage, 800 Besucher, 4 Locations, 25 Einzelveranstaltungen und Ausstellungen, rund 15 Speaker: Zu bestaunen gab es jede Menge innovative Ideen und Projekte aus den Bereichen der visuellen Kommunikation bis hin zu spannenden Forschungs- und Entwicklungsthemen. Auch wir waren mit rund 15 Kollegen vor Ort, um Top-Kreativen aus dem internationalen Umfeld zu lauschen. So präsentierten Größen wie Dave Hakkens und Mario Lombardo nicht nur auf charmante Weise ihr Artwork, sondern gewährten auch wertvolle Einblicke in ihren kreativen Schöpfungsprozess und persönlichen Lifestyle. Hier sind meine persönlichen Highlights der see#12.

Passend zum Earthday, der jährlich weltweit am 22. April begangen wird, hatte die see in diesem Jahr den Schwerpunkt: Nachhaltigkeit, Ressourcen und Umwelt. In seiner Eröffnungsrede machte Michael Volkmer daher gleich zu Beginn auf den Stickstoffdioxidausstoß in Wiesbaden aufmerksam und berichtete über die beeindruckende soziale Kunstskulptur „NOxmas“. Der Baum am Bahnhofsvorplatz wurde zu Deutschlands größtem und wahrscheinlich ästhetischstem Stadtluft-Anzeiger umfunktioniert. Im März wurde die Installation vorerst abgebaut.

Stadtluft-Anzeiger NOxmas (Foto © Annika Schulz)

Auch über den noch relativ neuen Verein Bilder der Zukunft, der ebenfalls im Wiesbadener Raum tätig ist, informierte Michael Volkmer das Publikum. Der Verein ist der festen Überzeugung, dass die Welt soziale Utopien für eine lebenswerte Zukunft braucht. Dafür suchen die Mitglieder nachhaltige Visionen aus den Bereichen Design, Kunst, Wissenschaft, Film und mehr, die dabei helfen sollen, aus Utopien Realitäten zu machen.

Als runder Abschluss dieses „grünen“ Auftaktes wurde auf den Verzicht von Einweggeschirr während der vier Konferenztage hingewiesen. Stattdessen ist es dem Veranstalter gelungen, eine logistische Meisterleistung zu absolvieren und Gläser zu organisieren, die im Akkord von einem engagierten Spülteam gesäubert wurden.

Gleich zu Beginn schon das Highlight – wer hätte das erwartet?!

Als erster Redner folgte Bazon Brock, emeritierter Professor für Ästhetik und Kulturvermittlung, der von seinem Vorredner herzlich mit den Worten „der Schwätzer“ angekündigt wurde – eine Herleitung des Vornamens Bazon, der griechischen Ursprungs ist. Bazon Brock ist wirklich nur mit drei Worten zu beschreiben: ein denktheoretischer Taifun.

In seinem 45-minütigen Vortrag zur Rolle des Designers im Zeitalter der „alternativen Fakten“ zwischen Denkprozessen wie der „Kritik als einzige Instanz der Zustimmung“ bis hin zum apokalyptischen Denken im Alltag eines Tischlers wurden die Gedankengänge der Zuhörer einmal ordentlich umhergewirbelt. Wortgewaltig erklärte Bazon Brock Designer zu Agenten der Apokalypse, das Unterlassen als schwerste Form des Tuns, die offensichtliche Lüge als tatsächlich wahr, gut und sogar gesund. Er nannte alle Menschen als gleich nichtwissend, lobte Hacker als Erkenntnistheoretiker und erörterte, dass das Erzeugen eines Problems der einzige Weg zur Problemlösung sei. Mein Fazit: In seiner Härte und Konsequenz einfach erfrischend brillant!

Wer tiefer in diese intensive Form des Denksports einsteigen möchte, dem kann ich die Website von Bazon Brock empfehlen. Neben seiner Tätigkeit als mitreißender Redner und Rhetoriker ist er außerdem der Gründer der „Gesellschaft des Glücks der Verfehlung“, des „Instituts für Gerüchteverbreitung“, der „Prophetenschule“ und der „Denkerei“ in Berlin.

Nur noch kurz die Welt retten: Produktdesign made by Dave Hakkens

Mit Dave Hakkens konnte die see#12 einen weiteren exzellenten Repräsentanten für sich gewinnen: Ein Weltenbummler und Produktdesigner, der schon mit Mönchen in Thailand gelebt hat, jedes Plastikstück, das ihm in die Hände fällt, zu Skulpturen, Möbeln und Alltagsgegenständen upcycelt und natives Speiseöl mit Wind presst.

Das von ihm initiierte Open-Source-Projekt „Precious Plastic“ hat schon mehrere Awards wie etwa den D&AD Award, den 2016 Eco Coin oder das Dutch Design Talent gewonnen: Über Online-Anleitungen ermöglicht es den Bau von einfachen DIY-Maschinen zum Recycling der unterschiedlichsten Kunststoffsorten. Großes Fachwissen und komplizierte Materialien bedarf es für die Umsetzung nicht, weshalb das Konzept vor allem für ressourcenarme Gegenden ideal ist, um unerwünschten Plastikmüll schnell in einen wiederverwendbaren Rohstoff zu verwandeln.

Auch mit „Phonebloks“ hat Dave Hakkens Aufmerksamkeit auf sich gezogen: Es handelt sich um einen modularen Baukasten, mit dem man sein Smartphone frei und ganz individuell nach den persönlichen Bedürfnissen zusammensetzen kann. Ziel des Konzepts ist es, Elektroschrott zu reduzieren.

Mario Lombardo – der Charmeur

Zum Schluss möchte ich noch den Vortrag von Mario Lombardo hervorheben, der uns mit seiner sehr natürlichen Art und entwaffnenden Offenheit sein Büro, Werk und Leben präsentierte und damit den gesamten Saal in seinen Bann zog. Als einer der renommiertesten Kommunikationsdesigner unserer Zeit und mit über 100 nationalen und internationalen Awards hat mich besonders seine eher klassische Schöpfungsmethode beeindruckt. Er lässt sich gern von seinem konkreten Umfeld beeinflussen und inspirieren – und der Erfolg vieler seiner Projekte gibt dieser Methode, mit offenen Augen durchs Leben zu laufen, recht.

Hier ein Beispiel dazu: Zu der internationalen Werbekampagne für das VW Parfüm „Pétrole“ war der Designer auf der Suche nach einer Visualisierungsmöglichkeit.

Dabei hat die Automobilbranche ihre ganz eigene visuelle Sprache und deutliche Gestaltungsmuster können von einem geübten Auge schnell erkannt werden. Beim Betrachten eines Benzinfilms auf einer Asphaltoberfläche hatte Mario Lombardos Tochter einmal spontan gesagt: „Schau mal Papa, ein Straßenregenbogen!“ Dieser Satz entzündete seine kreative Ader, eröffnete ihm einen neuen Blickwinkel und führte zu einem erfrischenden Keyvisual: Die Werbeanzeige für „Pétrole“ inszeniert die Farbenpracht und Ästhetik von ausgelaufenem Benzin auf Asphalt.


Für die VW-Kampagne hat Mario Lombardo mit der Ästhetik auslaufenden Benzins einen neuen kreativen Blickwinkel geschaffen.

Neue Anreize durch Perspektivwechsel

Auch die anderen Gastredner hatten sehr interessante Vorträge, auf die ich hier hinweisen möchte, darunter zum Beispiel die Illustratorin Teresa Sdrealevich, der Animations- und Filmregisseur Floris Kaayk, die Stadtplanerin und Forscherin Allison Killing oder die Architektin Laura Baird. Die see ist jährlich auch die perfekte Gelegenheit zum fachlichen Austausch auf der urbanen Bierbank. Ein Großteil der Agenturlandschaft im Rhein-Main-Gebiet ist jährlich auf der Kreativkonferenz vertreten und zeigt sich offen fürs Netzwerken, sodass ich kaum die see#13 erwarten kann.

Unsere Expertin

Manolya Wendler

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Manolya Wendler ist seit 2015 im Team von Cocomore. Als Art Directress ist sie für die konzeptionelle und auch visuelle Umsetzung von Projekten verantwortlich. Dabei entwirft sie kreative Lösungen für die unterschiedlichsten Medien. Vor ihrer Zeit bei uns hat Manolya Kommunikationsdesign mit dem Schwerpunkt Corporate Design in Wiesbaden studiert und war bereits einige Jahre lang als Art Directress tätig. Abwechslungsreiche Aufgaben, das kollegiale Miteinander und die Möglichkeit, sich kreativ auszuleben und stets im digitalen Zeitgeist zu bewegen, sind für ihre Arbeit bei Cocomore besonders wichtig. Vier Eigenschaften, die Manolya beschreiben: wissbegierig, intrinsisch motiviert, progressiv & umtriebig.